Fliesenleger und Countertenor
Sie sind vor allem Rechtsanwälte, Steuerberater und Beamte: 87 Prozent der Abgeordneten im aktuellen Bundestag sind Akademiker. Björn Feuerbach, Direktkandidat der Freien Wähler im Wahlkreis 172 und von Beruf Fliesenleger, möchte der Perspektive der Handwerker mehr Gehör verleihen. Dem Bundestag fehle ein Stück weit der Bezug zur Realität, sagt der Pohlheimer, der sich in derRegion als Rocksänger einen Namen gemacht hat.
Wer Björn Feuerbach auf seinem Arbeitsplatz besucht, schlängelt sich durch einen Flur an Leitern vorbei, auf denen Bauarbeiter werkeln, duckt den Kopf unter Kabeln, die vonder Decke herabhängen, läuft dann eine Treppe hinunter. Feuerbach kniet in einem Raum, der einmal ein Badezimmer sein wird. Mit einem Schwamm wischt er über den Boden.
Die Fliesen, die Feuerbach hier in diesem Neubau in Kelkheim im Vortaunus verlegt, sind bis zu 3,20 Meter mal 1,60 Meter groß, sagt der Pohlheimer, der bei der Bundestagswahl im Wahlkreis 172 als Direktkandidat für die Freien Wähler antritt. Aktuell sitzen im Bundestag nur 15 Handwerker. 87Prozent der Abgeordneten sind Akademiker. Es ist eine Zahl, die die Frage aufwirft, wie repräsentativ der Bundestag für eine Gesellschaft ist, in der nur 20 Prozent Akademiker sind. Dass die Perspektive der Handwerker im Bundestag stark unterrepräsentiert ist, »finde ich schlimm«, sagt Feuerbach, der Fliesenleger. Dem Bundestag fehle dadurch ein Stückweit der Bezug zur Realität.
Er habe den Eindruck, dass im Bundestag der Einblick fehle, »wie schwierig es eigentlich ist, in der Welt klarzukommen« und welche Auswirkungen einzelne Gesetzesänderungen haben, sagt Feuerbach und nennt als Beispiel die CO2-Steuer für Unternehmen. Ein Vorteil seiner Tätigkeit auf Baustellen sei, mit Menschen aus so gut wie allen Bevölkerungsgruppen und -schichten zu tun zu haben und mit vielen Menschen »wirklich gut zusammenzuarbeiten, die einen Migrationshintergrund haben«,fügt er hinzu.
„Die links- und
Björn Feuerbach
rechtspopulistischen
Parteien dürfen nicht
zu stark werden, sonst
nimmt das Chaos
weiter seinen Lauf.
Feierabend. Feuerbach sitzt zu Hause in Grüningen, wo er mit seiner Frau, den 13 und zwölf Jahre alten Söhnen und der fünfjährigen Tochter lebt. Ein knisternder Kamin wärmt das Wohnzimmer. Dass er das Direktmandat voraussichtlich nicht gewinnen wird, sei ihm bewusst, sagt Feuerbach. Er hält es indes für möglich, dass die Freien Wähler drei Direktmandate holen und so in den Bundestag einziehen.
In einem Wahlkreis mit ungewöhnlich jungen Direktkandidaten – Dennis Pucher von der FDP ist mit 45 Jahren der Älteste, Feuerbach mit 42 der Zweitälteste – ist Feuerbach ein ungewöhnlicher Bewerber für ein Bundestagsmandat.
Das hat mit seinem Beruf als Handwerker zu tun. Und es hängt damit zusammen, dass er sich in der Region in den vergangenen knapp 20 Jahren als Musiker einen Namen gemacht hat. Als Interpret von Rockhymnen der Band Queen singt er auf großen Konzerten im Kreis Gießen, in der Wetterau und in Frankfurt mit der Coverband Just Queen, er beherrscht auch anspruchsvolle Nummern wie »Bohemian Rhapsody«. In den sozialen Medien kursiert ein Video, in dem Feuerbach vor 8000 Menschen auf dem Hessentag in Kassel 2013 das Lied »Don’t stop me now« wie einst Freddie Mercury ausklingen lässt, »Ah da da da«, singt er – und die komplette Menschenmenge auf dem Kasseler Königsplatz stimmt mitein.
Er habe zehn Jahre lang klassischen Gesangsunterricht in Friedberg gehabt, habe eine Ausbildung zum Countertenor, erzählt der in Niddatal aufgewachsene Feuerbach.
Countertenöre können unter Anwendung einer speziellen Gesangstechnik in hohen Alt-und Sopranlagen singen. Dank dieser Ausbildung, sagt Feuerbach, bleiben seine Stimmbänder nach zweieinhalb Stunden langen Konzerten intakt.
Dass Handwerker
Björn Feuerbach
im Bundestag unterrepräsentiert
sind, finde ich schlimm.
Dem Gesang verdankt Feuerbach, der sich seit 2016 bei den Freien Wählern engagiert und seit 2021 im Pohlheimer Stadtparlament sowie im dortigen Sozialausschuss sitzt und sich dort vor allem in Kita-Fra-gen immer wieder einbringt, sein politisches Engagement. Im Rahmen der Bürgermeisterwahl 2014 in Pohlheim habe er mit seiner Band auf einer Veranstaltung des Kandidaten der Freien Wähler, Andreas Viertelhausen, gesungen, erzählt er. Man habe sich damals über kommunalpolitische Themen unterhalten. Jahre später hätten ihn die Freien Wähler gefragt, ob er denn nicht Mitglied werden wolle.
Für den Bundestag kandidiere er nun auch, weil er als Kommunalpolitiker immer wieder die Erfahrung mache, durch Entscheidungen auf Bundes- und Landesebene vor weitgehend vollendeten Tatsachen zu stehen. Feuerbach nennt als Beispiele den Rhein-Main-Link, Tempo-30-Zonen und die Flüchtlingspolitik.
»Da werden Tonnen an Kupfer für mehrere Milliarden Euro in die Erde gebracht, komme was da wolle«, kritisiert er die Planungen zum Rhein-Main-Link. Stattdessen müsse das Sozialsystem »komplett neu strukturiert werden«, fordert Feuerbach. Bildung solle bis zum Studium kostenfrei bleiben, gleichzeitig müssten die Anforderungen angehoben werden. In seinem Beruf, bei der Ausbildung zum Fliesenlegermeister beispielsweise, liegen die Anforderungen deutlich zu niedrig, sagt Feuerbach. Außerdem müssten Anstrengungen unternommen werden, um für gleiche Bildungschancen zu sorgen, unabhängig von sozialen und wirtschaftlichen Hintergründen.
In der Flüchtlingspolitik plädiert Feuerbach für eine stärkere Regulierung und für konsequentere Abschiebungen von Straftätern. Nach der Messerattacke in Aschaffenburg Ende Januar hat Feuerbach auf Instagram ein Foto des mutmaßlichen Angreifers veröffentlicht.»Ein Kleinkind und ein Mann mussten sterben, weil unser Bürokratiemonster Deutschland einfach überfordert ist«, hat er geschrieben.
»Die links- und rechtspopulistischen Parteien dürfen nicht zu stark werden, sonst nimmt das Chaos weiter seinen Lauf.« Feuerbach hat in der Wetterau an sogenannten Mittelstands-Demos teilgenommen. verortet sich selbst in der Mitte des politischen Spektrums.
Zehn Tage lang herrscht für ihn noch Wahlkampftrubel. Ruhe wird er dann bald wieder im Wald suchen. Ein-, zweimal im Jahr schlägt er in der Natur ein Tarp auf, häufig bei Gedern, um den Kopf frei zu bekommen, ohne Handy in der Hand, und um dort zu übernachten. »Ich liege dann im Schlafsack und kann nachdenken«, sagt Feuerbach. »Da erkennt man für sich, wie klein man eigentlich ist.«
DAS SAGT BJÖRN FEUERBACH
Die drei wichtigsten politischen Themen aus Berlin für den Wahlkreis
Mittelstand stärken: »Ich setze mich für ein einfaches, transparentes und gerechtes Steuersystem ein, das insbesondere freie Berufe sowie kleine und mittlere Unternehmen entlastet und fördert. Unser Ziel ist, Leistung zu belohnen, Bürokratie abzubauen und Investitionen zu erleichtern. Neben unserer Forderung nach einer Erhöhung des Grundfreibetrags auf 24 000 Euro pro Jahr fordern wir die Anhebung der Grenze für Kleinunternehmer von 25 000 auf 35 000 Euro Jahresumsatz sowie die Erhöhung der Abschreibungsgrenzen für geringwertige Wirtschaftsgüter auf 3500 Euro.«
Bildung muss gerecht sein: »Ich setze mich dafür ein, dass jedes Kind, unabhängig von seinem sozialen oder wirtschaftlichen Hintergrund, die gleichen Bildungschancen erhält. Bildung ist Ländersache und soll es auch bleiben. Dennoch liegt es in der Verantwortung und Pflicht des Bundes, die Länder ausreichend mit Mitteln auszustatten.«
Kommunen besser ausstatten: »Die Finanzsituation vieler deutscher Städte und Gemeinden ist nach wievor angespannt. Diese Situation ist Folge einer jahrzehntelangen chronischen Unterfinanzierung der kommunalen Ebene. Ich stehe für eine grundlegende Reform der Kommunalfinanzierung und möchte eine Altschuldenreduktion erreichen. Zudem muss zukünftig konsequent das Konnexitätsprinzip eingehalten werden.«

sagt Björn Feuerbach. Foto: SRS
TEIL 8 DER SERIE
BUNDESTAGSWAHL
Am Sonntag, 23. Februar, wird der neue Bundestag gewählt. Im Wahlkreis 172 Gießen/Vogelsberg konkurrieren heimische Politiker um das Direktmandat und den Platz in Berlin. Wer sind diese Kandidaten? Was wollen sie für ihren Wahlkreis in der Hauptstadt erreichen? Antworten darauf gibt es in dieser Serie.
Quelle: Gießener Allgemeine Zeitung / Alsfelder Allgemeine Donnerstag 13.02.2025